FAQ – häufige Fragen zur Initiative Bürgerasyl

Immer wieder erreichen uns Anfragen zum Bürgerasyl, sowohl allgemeiner zum politischen Ansatz, aber auch zur konkreten Umsetzung und zu möglichen Risiken. Im folgenden versuchen wir, auf einige dieser Fragen erste Antworten zu geben. Gleichzeitig möchten wir betonen, dass es u.E. kein umfassendes allgemein gültiges Konzept gibt, sondern dass Vieles entsprechend der zum Teil unterschiedlichen lokalen Bedingungen angepasst bzw. weiter entwickelt werden sollte.
„Wir“, die das Folgende formuliert haben, sind eine Arbeitsgruppe der Initiative Bürgerasyl in Hanau und wir sind für weitere Nachfragen unter kmii-hanau@antira.info zu erreichen.

Was ist Bürgerasyl?
In mehreren Städten haben sich Initiativen gegründet, die öffentlich ihre Bereitschaft ankündigen, afghanische Geflüchtete vor der Abschiebung zu schützen. Flüchtlingen aus Afghanistan Bürgerasyl zu gewähren, das heißt, notfalls die Menschen, die in Krieg und Verfolgung zurückgeschickt werden sollen, in privaten Wohnungen zu verstecken.

Wie ist die Idee des Bürgerasyls entstanden?
Die Initiativen für Bürgerasyl haben sich im Widerstand gegen die Abschiebecharter nach Afghanistan entwickelt. Seit Dezember 2016 gab es mittlerweile (Stand 01.12.17) sieben solcher Flüge von deutschen Flughäfen nach Kabul. Die Idee ist, mit einer weiteren Protestform zur Mobilisierung und Verhinderung dieser „Charter der Schande“ beizutragen.

Was ist das politische Ziel?
Zunächst geht es darum, den politischen Preis für die Abschiebungen hochzutreiben und perspektivisch – wenn sich in vielen Städten Tausende an ähnlichen Initiativen beteiligen würden – solche Abschiebungen politisch undurchsetzbar zu machen. Wir verstehen es auch als Ausdruck einer neuen Bürgerrechtsbewegung der Solidarität.

Ihr nennt es zivilen Ungehorsam?
Ja, genau. Wir würden es durchaus vergleichen mit Sitzblockaden gegen Nuklearraketen oder gegen Atommülltransporte, oder sich Nazi-Aufmärschen in den Weg zu stellen. Bürgerasyl widersetzt sich offensiv dem Abschiebeapparat, indem öffentlich erklärt wird, dass notfalls die betroffenen Menschen aufgenommen und vor den Behörden bzw. der Polizei versteckt werden.

Wer wird mit der Initiative angesprochen?
Je breiter das Spektrum der Zivilgesellschaft, desto besser und wirkungsvoller. Von GewerkschafterInnen bis zu kirchlich Aktiven, von LehrerInnen bis zu TherapeutInnen, von Partei-VertreterInnen bis zu SozialarbeiterInnen, KünstlerInnen, MusikerInnen und TrainerInnen im lokalen Fussballverein – alle, die sich zu Recht empören, sollten angesprochen werden, diesen gemeinsamen Schritt mitzugehen.

Fürchtet Ihr keine juristischen Konsequenzen?
Die Unterzeichnung dieses Aufrufs KANN polizeiliche und staatsanwaltliche Ermittlungen oder sogar strafrechtliche Verfahren (z.B. wegen Aufruf zur Beihilfe zum illegalen Aufenthalt) zur Konsequenz haben. Mit rechtsanwaltlicher Unterstützung und Beratung werden wir versuchen, dieses Risiko zu minimieren. Aus anderen Erfahrungen wissen wir zudem: je breiter solch eine Kampagne getragen wird, umso unwahrscheinlicher ist die Einleitung von Verfahren bzw. eine Strafverfolgung. Doch wir können dies nicht völlig ausschließen und deshalb sollten sich alle UnterzeichnerInnen des Risikos bewusst bzw. dazu bereit sein, im schlimmsten Fall auch eine kleine Geldstrafe (von evtl wenigen 100 Euro) zu zahlen. Zudem würden wir versuchen, jedes Strafverfahren zur weiteren öffentlichen Mobilisierung zu nutzen.

Ist Bürgerasyl vor allem eine öffentliche symbolische Kampagne oder geht es auch um reale Unterbringung bzw. Verstecken der Betroffenen?
Für uns hat die Initiative einen Doppelcharakter. Zunächst geht es um den öffentlichen politischen Schritt. Ein Aufruf zu zivilem Ungehorsam gegen die Charter der Schande! Gleichzeitig soll die Initiative dazu beitragen, praktische solidarische Strukturen aufzubauen bzw. weiter zu entwickeln. Niemand, der oder die den Aufruf unterzeichnet, verpflichtet sich, Menschen bei sich zu Hause aufzunehmen. Aber die Frage stellt sich natürlich sehr konkret, wie im Notfall die von Abschiebung Betroffenen zu schützen und wirklich auch in privaten Wohnungen zu verstecken sind. Das ist aber eine Ebene von Diskussion, die wir vom politischen Aufruf getrennt halten und die entsprechend der lokalen Vertrauensstrukturen zu entwickeln ist.

Besteht nicht die Gefahr, dass es zu Hausdurchsuchungen bei den öffentlichen Unterzeichnerinnen kommt, um versteckte Menschen zu suchen?
Damit sind wir wieder bei der schützenden Breite: Wenn in jeder Stadt allein 60 Personen den Aufruf unterzeichnet haben, dann dürfte es schwierig bis unmöglich sein, 60 Hausdurchsuchungen durchzuführen, nur um einzelne Personen zu finden, die sich der Abschiebung entzogen haben.

Aber wenn eine Person in einer Wohnung gefunden würde, dann ist das doch illegal und eine Straftat?
Es kommt auf die konkreten Umstände an. Wenn der oder die Betroffene z.B. noch eine gültige Duldung hat – und das ist keine Seltenheit – dann ist es nichts anderes als Gastfreundschaft, jemanden zu beherbergen. In vielen Fällen wird es nicht möglich sein, die Bereitstellung einer schützenden Unterkunft zu kriminalisieren. Nur wenn die betroffene Person keinerlei Aufenthaltsstatus hat, kann es problematisch werden. Insofern mögen nicht alle Bürgerasyle legal sein, aber immer legitim. Es ist insofern sinnvoll, sich Beratung zu suchen, wie groß das Risiko im Einzelfall ist.

Wie sehen Eure Kontaktstrukturen aus? Seid Ihr von potentiellen UnterstützerInnen wie auch von potentiellen Betroffenen direkt ansprechbar?
Ja, wir sind zumindest per Email theoretisch für alle erreichbar. Und wir stehen ja auch mit unseren Namen unter dem Aufruf. Aber praktisch ist es so, dass Betroffene über ihre Rechtsanwälte und lokale Beratungsstellen die konkrete Gefahrensituation einschätzen und dann auch nach Unterstützung suchen müssen. Potentielle UnterstützerInnen würden wir zunächst auch zu Treffen und Veranstaltungen einladen, um sich kennenzulernen und in obengenannte Vertrauensstrukturen in Form kleiner, überschaubarer Netzwerke einzubeziehen. Das hängt im Konkreten von der lokalen Situation ab und wird evtl. in kleinen Städten anders ablaufen als in großen.

Wie lässt sich der Schutz afghanischer Asylsuchender, die von Abschiebung bedroht sind, konkret vorstellen?
Seit Dezember 2016 bis heute (01.12.2017) sind es die bislang sieben Charter, in denen insgesamt 138 Afghanen abgeschoben wurden. In der Regel wurden die Daten und Orte dieser Abschiebeflüge bereits ein oder zwei Wochen vorher bekannt. Dann müssen potentiell von Abschiebung Betroffene so schnell wie möglich „in Deckung gehen“, also aus ihren angemeldeten Wohnungen oder Zimmern in geschützte Räume wechseln. Das heißt, es benötigt einen guten Überblick über die jeweilige rechtliche Situation der Betroffenen, um dieses Risiko einschätzen und dann vermeiden zu können, in der angemeldeten Wohnung frühmorgens überraschend zur Abschiebung abgeholt zu werden. Womöglich sind es (zumindest in Hessen) bezüglich Afghanistan zunächst recht kurze Risiko-Zeitfenster, die mit Bürgerasyl zu überbrücken sind.

Aber besteht nicht die Gefahr, dass diejenigen, die abgeschoben werden sollen, noch früher in Abschiebehaft genommen werden?
Ja, diese Gefahr besteht und wird momentan vor allem in Bayern schon praktiziert. Die Behörden in vielen Bundesländern versuchen zur Zeit, neue Abschiebeknäste und –gewahrsame aufzubauen. Doch vielerorts – wie auch aktuell in Hessen – ist es (noch) nicht soweit und es gibt weder Kapazitäten noch ausreichend rechtliche Grundlagen, die Menschen über Wochen festzunehmen. Noch halten viele wichtige juristische Erfolge der letzten Jahre im Kampf gegen die Abschiebehaft.

Sind nicht viele Tausende AfghanInnen von Abschiebung bedroht? Kann es dafür genug Bürgerasyl-Kapazitäten geben?
Bislang sind wir mit einer eher symbolischen Abschreckungspolitik konfrontiert und 138 Abschiebungen sind natürlich 138 zuviel! Aber das sind längst noch keine Massenabschiebungen und wir mahnen auch immer wieder: Bitte keine Panik verbreiten, der weitaus größte Teil der afghanischen Schutzsuchende hat sehr gute Chancen, ein Aufenthaltsrecht unter Ausschöpfung aller Rechtsmittel durchzusetzen. Dazu gibt es u.a. die „Informationen gegen die Angst“ (siehe unten), auch in Farsi und Pashtu, um potentiell Betroffene zu beruhigen und sie vor allem in ihrem Widerstand zu bestärken. Und wir denken, dass der verstärkte Widerstand der afghanischen Communities sowie Initiativen wie das Bürgerasyl erfolgreich zusammenwirken können, um zu verhindern, dass es real zu Massenabschiebungen kommt. Die in den letzten und in den kommenden Monaten eher geringe Zahl der potentiell Betroffenen könnten wir – entsprechende Kontakte und Strukturen vorausgesetzt – in unseren Städten recht einfach schützen.

Ist das Konzept des Bürgerasyl auch gegen Dublin-Abschiebungen anwendbar?
Im Prinzip ja, denn auch bei Dublin geht es häufig um vorübergehende Schutzräume gegen das Abschiebe-Risiko in der sechsmonatigen Überstellungsfrist. Doch das Problem und die Gefahr ist, dass die Behörden – wenn Betroffene mehrfach nicht an ihrem gemeldeten Wohnort zur Abschiebung angetroffen werden – diese Überstellungsfrist wegen vermeintlichem Abtauchen auf 18 Monate zu verlängern versuchen. Dagegen hilft dann effektiv doch nur das Kirchenasyl oder auch kollektive Abschiebeverhinderungen wie die „Osnabrücker Pfeifenproteste“ (siehe Anmerkungen unten).

Ihr bezieht Euch in eurem Aufruf auf das Kirchenasyl sowie auf Schutzstrukturen in den migrantischen Communities?
Ja, zum einen geht es uns um eine Wertschätzung und Unterstützung oder auch Ergänzung und Erweiterung des Kirchenasyls. Hier haben sich in den letzten Jahren in vielen Kirchengemeinden beachtliche Solidarisierungsprozesse entwickelt. Zum anderen sollten wir immer im Blick haben, dass Illegalisierte oder Menschen mit Abschiebe-Risiko in ihrer großen Mehrheit bei Verwandten und Bekannten unterkommen und von diesen – trotz erheblich größerem Risiko der Strafverfolgung – geschützt werden. Diese Community-Solidarität kann nicht stark genug gewürdigt werden und das Bürgerasyl kann hier politische Rückendeckung verschaffen.

Letzte Frage: Ihr stellt Eure Initiative für das Bürgerasyl in eine weitere soziale Perspektive?
Ja, für uns steht das Bürgerasyl im Horizont des Konzeptes für eine Solidarische Stadt. Der Kampf gegen Abschiebungen von Geflüchteten und MigrantInnen ist darin eine zentrale Säule. Doch es geht um mehr als die Verteidigung des Bleiberechts, indem die Verhinderung von Abschiebungen mit übergreifenden Forderungen für gleiche soziale Rechte für Alle verbunden wird, z.B. für bezahlbaren menschenwürdigen Wohnraum oder für fair bezahlte Jobs. Die Solidarische Stadt steht für die Vision einer offenen, sozial gerechten Gesellschaft, die Spaltung und Ausgrenzung, Armut und Prekarisierung zu überwinden sucht und dies gleichzeitig auch in konkreten praktischen Initiativen lebendig werden lässt.

Links zum Weiterlesen:

Hanau: http://buergerasyl-hanau.info/
Solidarity Cities: https://solidarity-city.eu/de/
Netzwerk Asyl in der Kirche: http://www.kirchenasyl.de
Osnabrück: http://nolageros.blogsport.eu
Freiburg: https://www.freiburger-forum.net
Göttingen: http://papiere-fuer-alle.org/node/980
Stuttgart:
http://www.aktionbleiberecht.de/blog/wp-content/uploads/2017/03/Initiative-B%C3%BCrgerasyl.pdf
Flüchtlingsrat Hessen: http://fluechtlingsrat-hessen.de/keine-abschiebungen-nach-afghanistan.html
Flüchtlingsrat Baden-Württemberg:
http://fluechtlingsrat-bw.de/files/Dateien/Dokumente/INFOS%20-%20Fluechtlingsarbeit%20BW/2017%20Kreise/2017-05-03-Text%20fuer%20Unterschriften.pdf
Informationen für Betroffene und UnterstützerInnen:
http://w2eu.info/germany.en/articles/germany-deportation-afghanistan.en.html