Während die Staatschefs der EU-Mitgliedsländer und der USA migrationspolitische Restriktionen vorantreiben, ihre Grenzen weiter abschotten und dabei den Tod tausender Hilfesuchender auf den Fluchtrouten in Kauf nehmen, erklären Stadtregierungen ihre Städte zu «solidarischen Städten» oder «Städten der Zuflucht». Für die Entwicklung einer linken migrationspolitischen Strategie gilt es, solidarische Städte als Orte der Umsetzung globaler sozialer Rechte in den Blick zu nehmen und sich mit den unterschiedlichen Städtenetzwerken kritisch auseinanderzusetzen.
Stefanie Kron, Henrik Lebuhn
Als im Juni dieses Jahres die neue rechte Regierung Italiens mehreren Rettungsschiffen privater NGOs das Anlegen in italienischen Häfen verwehrte, sollte sich dies als dramatischer Auftakt zu einer weiteren Runde europäischer Festungspolitik erweisen. Seitdem ist die zivile Seenotrettung im zentralen Mittelmeer nahezu blockiert, Kapitänen und Crews drohen strafrechtliche Verfahren u.a. wegen „Unterstützung illegaler Migration.“ Allein im Juni sind dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) daher mindestens 700 Menschen im Mittelmeer ertrunken (Stand: 14.8.2018).
Dagegen begehren Stadtgesellschaften überall in Europa auf. Für internationale Aufmerksamkeit sorgten Mitte Juni die Statements der Bürgermeister süditalienischer Küstenstädte, darunter Palermo, Neapel und Ravenna. Alle kritisierten aufs Schärfste die Weigerung der Zentralregierung, das Rettungsschiff «Aquarius» mit über 600 Bootsflüchtlingen an Bord in einem italienischen Hafen vor Anker gehen zu lassen und erklärten sich bereit, die auf dem Schiff befindlichen Flüchtlinge in ihren Städten aufzunehmen. Auch die Stadtregierungen von Köln, Düsseldorf, Bonn, Berlin und Kiel signalisierten kurz darauf ihre Bereitschaft, Bootsflüchtlinge aufzunehmen. Der Berliner Senat war zuvor mit den Stadtregierungen von Barcelona und Neapel in Verhandlungen um eine Kooperation im Flüchtlingsschutz getreten.
Viele der Städte, die sich derzeit für eine Aufnahme von Geflüchteten einsetzen, gehören dem 2016 gegründeten Netzwerk der Regierungen europäischer Großstädte «Solidarity Cities» an. Der Städteverbund ist allerdings kein aktivistisches Netzwerk. Es handelt sich eher um eine «Elefantenrunde» von Stadtregierungen europäischer Metropolen, zumeist Hafenstädte, die auf eine effizient koordinierte Steuerung dessen drängt, was im Gründungsdokument «Flüchtlingskrise» genannt wird. Gefordert wird von der EU-Kommission eine Erhöhung der Mittel für die soziale Infrastruktur jener Städte in Europa, in denen de facto die meisten Geflüchteten ankommen oder bereits leben.
Politischer Druck kommt aber auch von der aktivistischen Basis. Im vergangenen Jahr haben Flüchtlingsräte, migrantische Organisationen, Willkommensinitiativen, linke Bewegungen, stadtpolitische NGOs, kirchliche Gruppen und Wissenschaftler*innen in Städten wie Berlin, Bern, Köln und Zürich sowie in zahlreichen kleineren Städten das alternative Städtenetzwerk mit dem fast identischen Namen «Solidarity City» ins Leben gerufen. Mit seinen Forderungen geht das Bündnis deutlich weiter als das offizielle europäische Städtenetzwerk: Es geht es um Abschiebestopps und die direkte Aufnahme von Flüchtlingen, aber darüber hinaus auch um eine grundsätzliche Demokratisierung des städtischen Lebens.
Diese Beispiele zeigen die wachsende Bedeutung stadtpolitischer Bündnisse im Kampf gegen den europaweiten Rechtsruck und die Verschärfung der europäischen Grenz- und Migrationspolitik (Kron 2017). Denn nicht nur die Abschottungspolitik im Mittelmeer, die Frage der nationalen Staatsangehörigkeit und des ausländerrechtlichen Aufenthaltsstatus, sondern auch die Politik der Städte und Kommunen spielen für die Lebensbedingungen von Migrant*innen in der EU eine wichtige Rolle. Für die Entwicklung einer linken Strategie auf dem Feld der Migrationspolitik ist es daher zentral, sich mit den unterschiedlichen Städtenetzwerken kritisch auseinanderzusetzen. Vor allem geht es dabei um die Frage, wie sich lokalpolitische Maßnahmen entwickeln lassen, mit denen sich nationale und europäische Migrationskontrollen und Ausschlussmechanismen zumindest auf der kommunalen Ebene umgehen oder sogar außer Kraft setzen lassen. […]