Technopolis oder Freedom City?

Die Verlage Assoziation A und Seismo haben ein schönes Buch gerausgebracht:
Katja Schwaller (Hsg.), Technopolis. Urbane Kämpfe in der San Franzisco Bay Area. Das Buch beschreibt die Auswirkungen der boomenden IT-Branche im “Weltzentrum der technologischen Revolution”: Auflösung der bestehenden Arbeits- und Lebensverhältnisse, Verbreibung und Obdachlosigkeit. Auf der anderen Seite steht aber auch eine Vielfalt urbaner Kämpfe, wie, zum Beispiel das Anti-Eviction Mapping Project, die Black Live Matters-Bewegung oder Wandgemälde im Stadtteil Mission.

San Franzisco ist zugleich auch die Mutter der Sanctuary Cities. Die Stadt verteidigt ihre Migrant*innen gegen die Übergriffe der Bundesbehörden und gibt schon seit 2007 City-ID-Karten aus. “Wir alle sind San Franzisco?” Wie verträgt sich das mit Gentrifizierung und Vertreibung? Das Buch enthält ein Interview mit Cathleen Coll, einer Aktivistin und Sozialanthropologin, das dieser Frage in zahlreichen Facetten nachgeht. So beschreibt sie die Auswirkungen von Mietenwahnsinn und Vertreibung:

“Die Wohnungskrise und die daraus resultierende Verdrängung gehören
für viele Migrant*innen zu den drängendsten Alltagsproblemen. Viele
Haushalte mit unterschiedlichen legalen Status verlieren ihre Wohnung
und müssen aus der Stadt wegziehen, was eine ganze Folge von Problemen
nach sich zieht. Ich würde sagen, dass die Verdrängungsdynamik
mit der Sanctuary-Politik in einem, wenn auch nicht unmittelbaren,
Zusammenhang steht. Der Zusammenhang besteht darin, dass der
Arbeitsplatz, das Wohnen und die Strafverfolgung alles Bereiche zunehmender
Prekarität sind, insbesondere für papierlose Migrant*innen.
Und wenn die wirtschaftliche Unsicherheit zunimmt oder das Wohnen
zum Problem wird und sich die legale Situation gleichzeitig zuspitzt,
dann beschleunigt das die allgemeine Prekarität und den Stress, gerade
für Familien. Zum Beispiel sind die langen Pendelwege, die drohen, wenn
eine Familie ihre Wohnung verliert und weit wegziehen muss, ein großes
Problem. Die Leute behalten zum Teil ihre Jobs in der Stadt oder die
Kinder gehen weiterhin in dieselbe Schule, was heißt, dass die ganze
Familie jeden Tag riesige Distanzen zurücklegen muss. Und das bedeutet
auch, dass der Zugang zu Community-Institutionen wie ihrer Kirche
oder öffentlichen städtischen Dienstleistungen nicht mehr so einfach
zu haben ist. Alle diese Faktoren schwächen die sozialen Beziehungen
und Netzwerke und brauchen vor allem viel Zeit und Geld, die nun für
das Pendeln draufgehen.”

Das Interview schließt mit einer Perspektive, die Sanctuary Cities zu “Freedom Cities” zu transformieren:

“In Städten wie San Francisco bietet die Sanctuary-Bewegung eine politische
Grundlage, von der aus für eine breitere und progressivere Vision
von Sanctuary gekämpft werden kann: eine, die sich für Freiheit, das
Recht auf ein ordentliches Verfahren, Gleichbehandlung und gegen die
polizeiliche Überwachung, Repression und Masseneinkerkerung einsetzt.
In den letzten Jahren wurden zum Beispiel arabische Muslim*innen
und Gemeinschaften aus dem Nahen Osten und Südasien, die in ihrem
Alltag häufig die Erfahrung von Isolation, Überwachung und sogar physischer
Gewalt machen, in die Bewegung eingebracht. Andere haben darauf
hingewiesen, dass sich manchmal Widersprüche auftun, wenn zwar
für die Integration von Migrant*innen und ein Recht auf Stadt gekämpft
wird, gleichzeitig aber Gruppen wie Obdachlose, Trans-Menschen und
Schwarze durch die Polizei drangsaliert und Opfer von sozialer Ausgrenzung
und Masseninhaftierung werden. Es gibt daher Bemühungen, den
Sanctuary-Diskurs in Richtung einer «Freedom City» oder «Recht-auf-
Stadt-Bewegung» zu verschieben, um mehr Gruppen zu vereinen. Ich
finde die Vision von «Freedom Cities» sehr überzeugend, denn dieses
Konzept macht auch deutlich, wie viel Migrant*innen mit anderen marginalisierten Gruppen gemein haben, wenn es um gegenwärtige politische
Kämpfe in US-Städten geht.”

Das vollständige Interview
mit freundlicher Genehmigung des Verlags:
Technopolis_Ausschnitt Sanctuary City

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