Aufruf zu We’llcome United am 16.09. in Berlin

Kriege, Hunger, Naturkatastrophen, Terror, wenig Aussicht auf ein besseres Leben für sich und ihre Kinder: Vielfältige Gründe zwingen jeden Tag Menschen auf der ganzen Welt zur Flucht aus ihren Heimatländern. Die mörderische Abschottungspolitik der Industrienationen treibt sie auf unsichere Routen; dorthin zu gelangen, wo das Recht auf Asyl wahrgenommen werden kann, ist oft nur unter größten Gefahren möglich.
Doch auch diejenigen, die in Deutschland ankommen, haben wenig Chancen auf eine gleichberechtigte Teilhabe am hiesigen Leben. Neben Problemen mit den Ausländerbehörden, alltäglichem Rassismus und der Bedrohung durch Faschist*innen behindern Gesetze den Zugang zu lokaler öffentlicher Infrastruktur. Aus Angst vor einer Abschiebung schrecken viele Geflüchtete ohne legalen Status zum Beispiel davor zurück, ihr Kind an einer Schule anzumelden – immer wieder kommt es vor, dass Schulen solche Fälle direkt der Ausländerbehörde melden, obwohl sie dazu rechtlich ausdrücklich nicht verpflichtet sind. Der Zugang zu Schulbildung, selbst auf Grundschulniveau, ist somit keine Selbstverständlichkeit. Prekäre Aufenthaltstitel erschweren das Einfordern basaler Arbeitsrechte und öffnen Tor und Tür für verschiedenste Formen der Ausbeutung in informellen Sektoren der Wirtschaft. Wer krank ist, kann nicht selbstverständlich zum Arzt oder ins Krankenhaus gehen: Je nach Status beschränkt sich die Behandlung auf Akutfälle oder ist gar nicht möglich, es sei denn, Ärzt*innen oder zivilgesellschaftliche Einrichtungen versuchen ehrenamtlich, diese Unterversorgung auszugleichen. Auf dem Wohnungsmarkt werden Menschen mit „undeutschem“ Namen oder Aussehen diskriminiert, Menschen im Asylverfahren können ihren Wohnort nicht selbst wählen und keine Mietverträge abschließen.
Das Kind zur Schule schicken, sich gegen die Verletzung des Arbeitsvertrags durch die*den neue*n Chef*in wehren, die chronische Mandelentzündung ärztlich behandeln lassen oder in die Stadt zu ziehen,in der man leben möchte: Was für Menschen mit deutscher Staatsbürgerschaft völlig selbstverständlich ist, bleibt ihren geflüchteten Nachbar*innen verwehrt.
Von Anfang an waren diese massiven Behinderungen von Geflüchteten im alltäglichen Leben
politisch gewollt: „Die Buschtrommeln werden in Afrika signalisieren – kommt nicht nach Baden-
Württemberg, dort müsst ihr ins Lager“, erklärte der damalige Ministerpräsident Lothar Späth
(CDU) in selten freimütigem Rassismus, als 1982 in Baden-Württemberg das erste Sammellager für Geflüchtete eingerichtet wurde. Die verweigerten sozialen Rechte sind somit Bestandteil der deutschen und europäischen Abschottungspolitik.
Dieser rassistischen und menschenfeindlichen Politik setzen wir etwas entgegen: Wir fordern eine solidarische Stadt, in der alle gleichberechtigt öffentliche Infrastruktur nutzen und sich frei bewegen können, in der niemand Angst haben muss, kontrolliert, eingesperrt oder abgeschoben zu werden. Mit unserem Kampf für Gleichberechtigung fangen wir damit an den Orten an, an denen wir selbst leben. Menschen mit und ohne Fluchterfahrung, mit und ohne legalen Aufenthaltsstatus setzen sich in unseren Bündnissen dafür ein, dass alle, die hier leben, die gleichen Rechte wahrnehmen können.
Wir sind eine wachsende Bewegung: In Hamburg, Bremen, Hannover, Göttingen, Osnabrück,
Berlin, Leipzig, Münster, Köln, Frankfurt, Hanau, Darmstadt, Freiburg und München haben sich in letzter Zeit Initiativen gegründet, die ihre Städte zu solidarischen Städten machen wollen, in der alle Kinder zur Schule, alle Menschen zu Ärzt*innen gehen können.

Am 16. September werden sich in Berlin diejenigen treffen, die nicht damit einverstanden sind, dass Menschen als Menschen zweiter Klasse behandelt werden, weil sie am „falschen“ Ort geboren sind und nach Deutschland fliehen mussten: vereint, in einer bunten und lauten Parade. Auch die Initiativen für eine solidarische Stadt werden dabei sein, und wir werden eine klare Botschaft mitbringen: Alle, die hier sind, sind von hier! Wir alle haben ein Recht auf Gesundheit und Bildung, auf Arbeitsschutz und Wohnungen! Unsere Städte sind Orte der Solidarität, nicht der Ausgrenzung und Spaltung, und zusammen werden wir sie zu einem Zuhause für uns alle machen. Oder mit den Worten des Bürgermeisters von Palermo, Leoluca Orlando:

„Wenn Sie fragen, wie viele Flüchtlinge in Palermo leben, antworte ich nicht: 60 000 oder 100 000. Sondern: keine. Wer nach Palermo kommt, ist ein Palermitaner. Die Charta von Palermo, die ich 2015 verfasst habe, hält das fest. Tut mir leid für Sie, Sie sind jetzt auch eine Palermitanerin. Sie sind aber frei, wegzugehen und nicht mehr Palermitanerin zu sein.“

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