„Der Angeklagte wird freigesprochen“….

Hier einige zusammenfassende Informationen zum Prozess wegen BürgerInnenAsyl vom Juli 2020.
Angehängt zunächst die entscheidenden Stellen aus dem Freispruch/Urteil des Amtsgerichts Aschaffenburg/Zweigstelle Alzenau, danach die am 16. Juli vorgetragene Prozesserklärung. Die Staatsanwaltschaft hat Berufung gegen den Freispruch eingelegt. Wahrscheinlich kommt es also zu einem Verfahren in zweiter Instanz.

Zum Urteil im Strafverfahren wegen „Öffentlicher Aufforderung zu Straftaten“ am 16. Juli 2020 in Alzenau

„Der Angeklagte wird freigesprochen“….

Aus den Gründen zum Urteil vom 28.07.2020:

„… a) § 111 Abs. 1,2 stGB fordert, dass hier durch Verbreiten von Schriften öffentlich oder in einer Versammlung zu einer rechtswidrigen Tat aufgerufen wird.
Der Angeklagte hatte eingeräumt, Verantwortlicher für die hier maßgebliche Internetseite www.aktionbuergerinnenasyl.de gewesen zu sein. Er würde im Impressum als Verantwortlicher bezeichnet.

b) Es bleibt bereits fraglich, ob hier durch den Aufruf „von Abschiebung bedrohten Menschen BürgerInnenasyl zu gewähren und sie auch notfalls in ihren Wohnungen zu verstecken“ zur Durchführung einer rechtswidrigen Tat aufgerufen wird.
Der Aufruf ist allgemein gehalten und spricht lediglich von Menschen, die von Abschiebung bedroht sind. Dabei ist zu berücksichtigen, dass nicht jeder von Abschiebung bedrohte Mensch, sich gleichzeitig illegal in der Bundesrepublik Deutschland aufhält, mithin durch den Aufruf dazu aufgerufen wird, Beihilfe zum illegalen Aufenthalt zu leisten. Vielmehr sind auch Menschen von Abschiebung bedroht, die sich mit einer Duldung in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, mithin ihr Aufenthalt nicht illegal ist im Sinne von § 95 Abs. 1 AufenthG.

c) Selbst wenn man jedoch hinsichtlich des Aufrufs darauf abstellt, dass hier Hilfe dazu geleistet werden soll, Abschiebungen zu verhindern, mithin einen illegalen Aufenthalt zu beenden, fehlt es auch an einer hinreichenden Bestimmtheit des Aufrufs hinsichtlich der hier tatsächlich gewollten Taten. Die Rechtsprechung ist insoweit hinsichtlich des erforderlichen Grades an Konkretisierung uneinheitlich (siehe dazu Münchener Kommentar zu § 111 StGB, 3. Auflage 2017, Rd.Nr. 13-15).
Selbst wenn man mit der herrschenden Meinung davon ausgeht, dass insoweit durch die Person des Auffordernden keine näheren Vorgaben von Zeit und Ort sowie der speziellen Umstände der Tatausführung erforderlich sind, so ergibt sich doch aus dem Wortlaut „von Abschiebung bedrohte Menschen“ nicht zwingend, dass es sich dabei tatsächlich um illegale Ausländer handeln soll. Dabei ist auch die Form der Hilfeleistung nur vage bezeichnet, was sich auch darin zeigt, dass der Begriff des „notfalls Versteckens“gewählt wird. Vorherige Hilfleistungsstufen, die den Grad der Strafbarkeit noch nicht erreichen, wie etwa humanitäre Hilfe durch Verschaffen von Nahrung, können von dem Aufruf ebenfalls umfasst sein, aber ohne dass dabei im einzelnen der Grad der Beihilfe zum illegalen Aufenthalt zwingend erreicht werden muss. Daneben werden mit dem Aufruf Dritte aufgefordert, die Aktion „Bürgerinnenasyl“ zu unterstützen. Hier kann auch eine bloß moralische Unterstützung , beispielsweise durch Solidaritätsbekundungen gemeint sein, ohne dass eine Strafbarkeit auch nur annähernd berührt wäre.

d) Entscheidend ist hier jedoch, dass bei Berücksichtigung der vorangegangenen Ausführungen und des vage gehaltenen Aufrufs erhebliche Zweifel bleiben, ob die Aufforderung in allen naheliegenden Deutungsmöglichkeiten ein strafbares Verhalten zur Folge haben muss. Bei Bestehen solcher Zweifel ist jedoch unter Berücksichtigung des in dubio pro reo Grundsatzes im Wege verfassungskonformer Auslegung die straflos bleibende Variante zugrunde zu legen (siehe hierzu Münchener Kommentar: a.a.O.Rd.Nr. 14).

Nach alledem war der Angeklagte hier aus rechtlichen Gründen freizusprechen. …“

Erklärung im Prozess am 16. Juli 2020 in Alzenau

Im Mai 2017 wurde in Hanau eine der bundesweit ersten Initiativen für BürgerInnenAsyl gestartet. Hintergrund waren die seit Ende 2016 angelaufenen Charterabschiebungen nach Afghanistan, in ein bekanntlich von anhaltendem Bürgerkrieg gezeichnetes Land.
Über 50 Bürgerinnen und Bürger aus der Hanauer Zivilgesellschaft haben den Aufruf unterzeichnet, in dem sie u.a. formulieren: „..Wir werden von Abschiebungen bedrohten Flüchtlingen aus Afghanistan Bürgerasyl gewähren, das heißt, wir werden Platz machen in unseren Wohnungen und notfalls die Menschen verstecken, die in Krieg und Verfolgung zurückgeschickt werden sollen.“

Die bundesweite Vernetzung und Kampagne für BürgerInnenAsyl startete ein Jahr später – 2018 – mit Plakaten und einer Webseite. Ich möchte den Aufruf bzw. die Selbsterklärung der Kampagne von vor zwei Jahren hier ausführlich zitieren. Denn diese Statement hat nichts an Aktualität verloren. Es ist und bleibt Ausdruck einer notwenigen täglichen Solidarität mit allen, die von Abschiebung bedroht sind. Und es sind Sätze aus diesem Aufruf, auf Grund derer – und weil ich für das Impressum der Webseite mit meinem Namen gezeichnet habe – ich heute hier der „öffentlichen Aufforderung zu Straftaten“ angeklagt bin.

Zum Aufruf, der mit folgenden zwei Überschriften beginnt:
„Ich würde Menschen verstecken, um sie vor Abschiebung zu schützen!
Meine Solidarität gegen die Politik der Abschiebung und Ausgrenzung. Für eine Gesellschaft von Allen und für Alle.“
Der Text: „Menschen in Not zu helfen, sie willkommen zu heißen und ihnen Schutz zu gewähren, ist eine der natürlichsten Sachen der Welt. Im Sommer 2015 beteiligten sich Millionen Menschen in diesem Land, diese Werte in die Tat umzusetzen. Und auch wenn mittlerweile wieder rassistische Hetze und verschärfte Gesetze die Situation in Deutschland und Europa dominieren – die praktische Solidarität, die vor drei Jahren gelebt wurde, ist noch immer lebendig. Ich will beitragen, sie zu erneuern und zu stärken in einer Zeit, in der Menschenrechte für Geflüchtete und MigrantInnen systematisch mißachtet werden. Jeden Tag werden Menschen von Flughäfen abgeschoben. Sie werden gegen ihren Willen in andere Länder Europas oder in ihre Herkunftsländer verfrachtet, zurück in Armut, Verfolgung oder gar Krieg. Das will ich nicht tatenlos hinnehmen. Ich stehe auf für eine offene Gesellschaft, in der wir – ohne Abschiebungen und Ausgrenzung – die Zukunft gemeinsam gestalten wollen. Für eine solidarische Welt, in der die Würde des Menschen tatsächlich unantastbar ist.“

Und dann weiter – und das ist wohl der Anlass für dieses Verfahren heute:
„Deshalb rufe ich dazu auf, lokale Initiativen zu unterstützen, die von Abschiebung bedrohten Menschen BürgerInnenAsyl gewähren und sie auch notfalls in ihren Wohnungen verstecken. Ich werde mich selbst, nach meinen Möglichkeiten, an Initiativen des zivilen Ungehorsams gegen die ethisch nicht vertretbare Abschiebepolitik beteiligen: für ein zivilgesellschaftes Willkommen in einer offenen und sozial gerechten Gesellschaft.“

Um es nicht zu unterschlagen: federführend im Ermittlungsverfahren und zur Kriminalisierung des BürgerInnenAsyl und damit jetzt gegen mich war bzw. ist die Staatsanwaltschaft in Cottbus. In Brandenburg scheinen einige Behörden, Polizei und Staatsanwälte besonders sauer darauf zu sein, dass sich dort sehr lebendige Initiativen und Schutzstrukturen gegen Abschiebungen entwickelt haben. Weil sie offensichtlich vor Ort niemanden finden konnten, haben sie über die bundesweite Webseite und darin über das Impressum eine Person gesucht, der sie deswegen einen symbolischen Prozess machen wollen.

Ich zitiere aus einer Verfügung der Staatsanwaltschaft Cottbus: „Unterzeichner hat als Leiter der landesweit zuständigen Schwerpunktabteilung zur Bekämpfung der Computer- und Datennetzkriminalität , datenschutzrechtlicher Verstöße sowie gewaltdarstellender , pronographischer uns sonstiger jugendgefährdender Schriften im Rahmen der Prüfung der Internetseite https://www.b-asyl-barnim.de auf strafrechtlich relevante Inhalte auch die Internetseite www.aktionbuergerinnenasyl.de gesichtet.“
Dazu möchte ich kurz sagen: Hat diese Staatsanwaltschaft wirklich nichts Besseres zu tun. Ich komme aus Hanau, wo am 19. Februar 2020 neun junge Menschen bei einem rassistischen Terroranschlag ermordet wurden. Von einem Täter, der schon zwei Wochen vor der Tat sein rassistisches Traktat im Internet – nicht im Darknet – ganz öffentlich zur Schau stellte. Und wovon alle Ermittlungsbehörden angeblich nichts mit bekommen haben. Aber die sog. Schwerpunktabteilung recherchiert zu BürgerInnenAsyl?! Geht es noch?

Es ist deshalb mehr als beschämend, dass die Staatsanwaltschaft Aschaffenburg sich die Auffassung der StA Cottbus zu eigen gemacht. Weil ich, die Person aus dem Impressum, in einer Gemeinde in Bayern gemeldet bin, bin ich jetzt angeklagt. Diese Anklage ist juristisch absurd und menschenrechtlich wird sie früher oder später auf dem Misthaufen der Geschichte landen.

Der zitierte Aufruf bleibt hochaktuell. Gerade jetzt, wenn die Abschiebungen, die wegen Corona ausgesetzt werden mussten, wieder starten sollen. In den letzten Wochen wird auch dank der Black lives matter Bewegung viel über Rassismus diskutiert. Rassismus verletzt und Rassismus tötet. Rassismus hat viele Gesichter: die Morde in Hanau am 19. Februar, aber auch die täglichen Toten und illegalen Push-Backs an den europäischen Außengrenzen. Abschiebungen sind ebenfalls ein Ausdruck von Rassismus. Und hatten schon tödliche Folgen.
Ich möchte kurz erinnern – Say their Names:
Kola Bankole starb am 30. August 1994, nachdem er von einem Polizisten mit einem selbstgemachten Strumpfknebel stranguliert wurde – in einer Lufthansamaschine am Frankfurter Flughafen.
Derselbe Tatort am 28. Mai 1999: Aamir Ageeb stirbt an einem sog. „lagebedingten Erstickungstod“, nachdem ihm Polizisten einen Helm aufgesetzt und ihn mit aller Gewalt in den Sitz gedrückt haben. 1994 und 1999: Das scheint lange her und die brutale Abschiebegewalt der Bundespolizisten wurde damals etwas reformiert. Doch nichts ist vergessen und es kann jeden Tag wieder passieren.

Zudem: zu Abschiebungen gehört die Abschiebehaft. Menschen, die nichts verbrochen haben, werden alleine deswegen eingesperrt, um sie leichter abschieben zu können. Und immer wieder begehen Menschen in Abschiebehaft aus Verzweiflung Suizid. Wer ist dafür verantwortlich? Abschiebegefängnisse und Abschiebungen sind institutioneller Rassismus. Bürokratisches Unrecht.
Bei den Charterabschiebungen – insbesondere bei denen nach Afghanistan – kommt es immer wieder zu polizeilicher Gewalt, zu Verletzungen oder zur Ruhigstellung mittels Medikamenten. Es kann jederzeit auch wieder Abschiebetote geben.

Vor diesem Hintergrund möchte ich kurz den § 34 ins Spiel bringen.
§ 34 StGB – Rechtfertigender Notstand, ich zitiere:
„Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut eine Tat begeht, um die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden, handelt nicht rechtswidrig, wenn bei Abwägung der widerstreitenden Interessen, namentlich der betroffenen Rechtsgüter und des Grades der ihnen drohenden Gefahren, das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt. Dies gilt jedoch nur, soweit die Tat ein angemessenes Mittel ist, die Gefahr abzuwenden.“ Genau das ist beim BürgerInnenAsyl der Fall. Abschiebungen sind eine gegenwärtige Gefahr für Leib, Leben, Freiheit. Und die gilt es abzuwenden.

In der Akte zu diesem Strafverfahren findet sich auch ein Spiegel-Artikel mit meinem Namen, in dem es um Seenotrettung geht. Um unser Projekt des Alarm Phone, einer Hotline zur Unterstützung von Menschen in Seenot. Und mit diesem Verweis will die Staatsanwaltschaft mich offensichtlich zum Überzeugungstäter machen. Ja, ich bin und bleibe in der Tat bei der Überzeugung, dass es eines praktischen Widerstandes bedarf gegen die täglichen Menschenrechtsverletzungen – ob am Flughafen oder auf dem Mittelmeer. Wir kämpfen um jedes Boot und gegen jede Abschiebung!

Ich will hier nicht weiter ausführen, wie es mit der schändlichen Kriminalisierung der zivilen Seenotrettung bestellt ist. Sie ist ein europaweites Phänomen und deshalb will ich abschließend noch einen mutmachenden Hinweis geben zum Verfahren gegen einen „Solidaritätsverbrecher“ in Südfrankreich. Cedric Herrou, ein Olivenbauer, war angeklagt, über 200 MigrantInnen bei der Überquerung der Grenze von Italien nach Frankreich geholfen zu haben. Das Verfahren zog sich über Jahre hin und ging durch alle Instanzen. Jetzt im Mai 2020 wurde er schließlich von allen Anklagepunkten freigesprochen.

Ich werde, falls es heute hier zu einer Verurteilung kommt, ebenfalls durch alle Instanzen gehen. Bis dieses Verfahren niedergeschlagen ist. Denn: kein mensch ist illegal.

P.S.: Wörtliches Zitat aus dem Strafbefehl des Amtsgericht Alzenau:
„Die Staatsanwaltschaft Aschaffenburg legt Ihnen folgenden Sachverhalt zur Last: Am 19.07.2019 riefen Sie auf der Internetseite www.aktionbuergerinnenasyl.de auf ´von Abschiebung bedrohten Menschen BürgerInnenasyl zu gewähren und sie auch notfalls in ihren Wohnungen zu verstecken`. Sie werden daher beschuldigt, öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreitung von Schriften zu einer rechtswidrigen Tat aufgefordert zu haben.
Sie nahmen dabei in Kauf, dass Ihre Aufforderung ernst genommen wird.“

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